Leseprobe – SELENA II oder Auch wir sind Aliens! Fast überall!

 

Auszug aus dem zweiten Kapitel »Exoplaneten«

 

Die folgenden fünfundzwanzig Planeten sind ebenso enttäuschend. Wir erleben gleichermaßen die Erde in ihren verschiedenen frühen Stadien, lange bevor es Leben als komplexere Formen gab. Leben in seinen Anfängen ist gelegentlich zwar auszumachen, zweimal kann Viviane Proben von Wasser entnehmen und darin einfache Zellstrukturen entdecken, die bereits einen Zellkern besitzen, sogenannte Eukaryoten, die haben sogar schon eine DNS, die von einer Zellhaut geschützt wird, aber ihnen fehlt etwas Wesentliches, nämlich der Mund. Daher sind sie nicht sonderlich gesprächig, und so lange warten, bis sie sich so weit entwickelt haben, dass sie uns freundlich begrüßen können, haben wir keine Lust. Das würde nämlich nach Vivianes Aussage etwa eine Milliarde Jahre dauern, aber auch nur, wenn die Evolution auf diesem Planeten ähnlich wie auf der Erde verlaufen würde.

Dann mache ich mich bei den beiden Frauen unbeliebt. Mit einem hinterhältigen Grinsen frage ich Viviane: »Kann es sein, dass diese Eukaryoten vielleicht weiblich sind?«

»So ein Quatsch, Florian. Soweit ist die Evolution noch lange nicht. Was soll die Frage?«

»Naja, wenn sie weiblich wären, würde es deutlich weniger als eine Milliarde Jahre dauern. Welche Frau kann denn schon so lange ihr Mundwerk halten?«

Die Knuffe kommen so heftig von beiden Seiten, dass mir die Luft wegbleibt, und im Chor verkünden beide: »Noch so’n Spruch und du wirst heute Nacht nicht mehr wissen, ob du Männlein oder Weiblein bist! Komm’ du uns unter die Bettdecke!«

 

Der sechsundzwanzigste Planet lässt hoffen. Er liegt in der habitablen Zone und besteht zu großen Teilen aus Wasser. Die Atmosphäre enthält fast vierzig Prozent Sauerstoff, der Rest ist Stickstoff mit kleinen Anteilen an Helium. Das Land macht etwa dreißig Prozent der Oberfläche aus, besteht nur aus einem Kontinent, der von verschiedenen kleinen und größeren Inseln eingefasst wird und von vielen aktiven Vulkanen durchzogen ist. Hier wachsen Moose und Flechten sowie Farne, aber alles ist überdimensional groß. Es gibt Baumfarne und so etwas Ähnliches wie Koniferen und tierisches Leben. Das ist ebenfalls riesengroß: Auf dem Boden krabbeln zwei Meter lange Gliederfüßler  sowie spinnenähnliche Tiere, groß wie Feldhasen, in der Luft schwirren Insekten, und wir werden von Libellen mit Flügelspannweiten von fast fünfzig Zentimetern attackiert. Das Riesenwachstum muss eine Folge des hohen Sauerstoffgehalts sein. Wir haben zur Sicherheit unsere Raumanzüge an, wir wollen kein Risiko eingehen, daher können sie uns nichts anhaben. Größere Tiere an Land gibt es nicht, weder Vögel, noch Reptilien oder gar Säugetiere  – dachten wir, bis Nadines Bein sich in dem Rachen eines drei Meter langen Untiers befindet, das eine Kreuzung aus einem Riesenlurch und einem Krokodil zu sein scheint. Es ist plötzlich aus dem Wasser aufgetaucht und hat zugeschnappt. Nadines Anzug wurde schlagartig hart, härter als jedes Metall auf der Erde. Das schafft auch der gewaltige Kiefer des Untiers nicht zu verformen. Bevor das Tier Nadine jedoch ins Wasser ziehen kann, hat sie ihren Strahler gezogen, und das Ungeheuer liegt betäubt halb im Wasser und halb an Land. Nur mit Mühe und unseren Strahlern als Hebel gelingt es uns, den Kiefer zu öffnen, damit Nadine das unversehrte Bein herausziehen kann.

Viviane untersucht das Tier.

»Nach allem was ich sehen kann, ist es mehr Lurch als Krokodil, man könnte sagen, ein Lurch mit einem Krokodilgebiss, jedenfalls ist es eine Amphibie und kein Reptil. Wenn wir auf der Erde wären, würde ich es als den Meeresbewohner bezeichnen, der als erster das Land erobert hat und wir würden uns im Übergang von Devon zum Karbon befinden, also vor etwa 350 Millionen Jahren.«

Plötzlich fängt die Erde an zu wackeln. Ein Erdbeben. Es ist so heftig, dass wir uns nicht auf den Beinen halten können, wir werden durchgeschüttelt und krallen uns an den Bäumen fest. Kurz darauf fegt ein Sturm über uns hinweg, wir liegen waagerecht in der Luft an einer riesigen Konifere hängend. In der Ferne hören wir ein Donnern. Der Vulkan, den wir am Horizont sehen konnten, spuckt Feuer, Lava und Asche in die Luft. Dann ist der Sturm urplötzlich vorbei. Unser Monsterlurch liegt immer noch da, aber dafür ist das Wasser weg. Soweit wir blicken können, liegt der Meeresboden der weitläufigen Bucht frei. Algenwälder liegen flach auf dem Grund, dazwischen zappeln etliche Meeresbewohner.

Ich schreie: »Sofort zurück ins Schiff, da wird gleich ein Tsunami auf uns zukommen, der an Größe alles übertrifft, was wir uns vorstellen können, wenn man die gewaltige Menge Wasser sieht, die hier abgeflossen sein muss. Der Rückgang des Wassers ist ein typisches Anzeichen für einen Tsunami.«

Doch statt einer Wasserwand rast eine kilometerhohe Staubwolke auf uns zu, die den Himmel verdunkelt. Wir haben eben den Einstieg erreicht, da kommt auch das Wasser in einer hunderte von Metern hohen Wand zurück und reißt alles mit sich, Bäume werden entwurzelt, und das Schiff wird gegen den Vulkanhang geschleudert, aber Selena (Anmerkung: der Schiffscomputer) hat den Schutzschirm eingeschaltet, dadurch wird die Kollision abgemildert. Wir stehen noch in der Schleuse und werden durch den kleinen Raum geschleudert. Dann wird es ruhiger und Selenas Stimme ertönt.

»Wir sind aus dem Wasser raus und haben den Orbit erreicht.«

»Was war das denn?«, wollen wir von Selena wissen, als wir wieder im Kommando-Raum Platz genommen haben.

»Ich bin nicht sicher. Lasst uns den Planeten in Augenschein nehmen, vielleicht können wir die Ursache entdecken.«

Aus dem Weltraum sehen wir, dass sich Staubwolke und Tsunami ringförmig von einer Stelle ausbreiten. Die Wolke ist nach Selenas Berechnungen zehn Kilometer hoch und hüllt das Land, über das sie hinweggerast ist, in Dämmerung. Auch der der Wolke folgende Tsunami hat eine Höhe von fast einem Kilometer.

Die Erdkruste ist an vielen Stellen aufgerissen und aus den Spalten quillt glühende Lava. Dann erreichen wir die andere Seite und sehen unter uns einen Hexenkessel. Im Ozean klafft ein Loch von über fünfhundert Kilometern Durchmesser und fast zwei Kilometern Tiefe, in welches das Wasser in einer riesigen Kaskade hinabstürzt, unten auf heißes, flüssiges Gestein trifft und dort explosionsartig verdampft. In der Atmosphäre darüber toben zwischen Wolken und Wasserdampf gewaltige Gewitter, Blitze erhellen ohne Unterbrechung das Inferno.

»Das war der Einschlag eines Kometen von schätzungsweise neun Kilometern Durchmesser«, erklärt Selena, »das Meer war für ihn hier nicht mehr als eine Pfütze, er hat beim Eintritt in die Atmosphäre einen gewaltigen Sturm ausgelöst, beim Einschlag ungeheure Mengen von Wasser schlagartig zur Seite gedrückt und dann den Meeresboden aufgerissen, dabei sind die Staubwolken entstanden, welche die Atmosphäre so mit Staub durchsetzen, dass der Planet für Jahrhunderte von dem größten Teil des Sonnenlichts abgeschnitten sein wird. Eure Amphibie hat sich umsonst die Mühe gemacht, das Land zu erobern. Sie wird, wie die meisten Arten auf diesem Planeten, aussterben, und der Planet wird möglicherweise für Jahrtausende vereisen.«

»Kommt mir irgendwie bekannt vor«, platzt es aus Viviane heraus. »Wenn wir in dreihundert bis dreihundertfünfzig Millionen Jahren hier wieder vorbeikommen, würden wir uns wahrscheinlich selbst begegnen.«

»Eher unwahrscheinlich«, bemerkt Selena trocken, »die Evolution müsste verrückt sein, so etwas wie euch noch einmal hervorzubringen. Entschuldigt bitte! Ich meine natürlich nicht euch persönlich, ich meine eher die Menschen der Erde allgemein.«

Und dann flötet sie: »Ihr seid mir nämlich inzwischen richtig an meinen Hauptprozessor gewachsen!«

Dass Selena gern übertreibt, wissen wir inzwischen, aber Sentimentalität ist etwas ganz Neues.  

 

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