GV und der Kampf ums Nasenloch

Meine Partnerin und ich haben uns wieder einmal gegen Grippe impfen lassen. Erst sie, etwas später ich. Das hätten wir tunlichst lassen sollen. Denn die neuen Mutationen – gegen die alten waren wir ja geimpft – sind dadurch wohl erst auf uns aufmerksam geworden. Wie die Heuschrecken sind die GV über meine Partnerin hergefallen. Zur Erläuterung: GV ist die Abkürzung für Grippeviren und nicht etwa das was man sonst denken würde.

Das war schlimm. Für sie, nicht für mich. Aber nicht lange. Irgendwann merkte die Saubande, dass es da ganz in der Nähe einen leerstehenden Körper gab, den man illegal besetzen konnte. Also zogen sie mit Sack und Pack um, um in meinem Körper eine WG zu gründen, eine GV-WG. Ein paar gesetzestreue blieben allerdings zurück und machten sich weiterhin im Körper meiner Partnerin breit. Es gefiel ihnen dort. Konnte ich verstehen, mir gefiel es dort schließlich auch.

Aber jetzt bei mir? Nichts da! Ich verwehrte den Einlass. Daraufhin zogen sie zur Demo auf die Straße mit Sprüchen wie »Gegen die Diktatur der Impfkanülen«, »Keine Macht den Vakzinen« und »Freie Verbreitung für freie Viren«. Dann kamen sie mit geballter Power zurück und besetzten meinen leerstehenden Körper. Kein Raum blieb verschont, nicht einmal die Besenkammer, die eigentlich für hohen Tennisbesuch vorgesehen war. Dann schalteten sie doch tatsächlich eine Anzeige in der Apothekenumschau »Nur für Grippeviren: Freie Plätze in einer GV-WG zu vergeben«. Daraufhin bildeten sich lange Schlangen bis zur nächsten Straßenecke. Doch nur ein Teil davon waren Grippeviren. Die anderen hatten wohl die Abkürzung falsch verstanden. Jedenfalls herrschte ein unglaubliches Gedränge in meinem Körper. Gute Bekannte rieten mir, mich ins Bett zurückzuziehen. Das war ein schlechter Rat, denn dort tummelten sich die Typen auch schon. Außerdem hätten die anderen meine Abwesenheit dazu genutzt, wilde Partys zu feiern, so mit Nasehochzieh- statt Ausziehpoker und Impfspritzendrehen statt Flaschendrehen. 

Doch dann kam die Wende – dachte ich. Meine berittene AK-Truppe griff ein, die Antikörpertruppe hoch zu Ross auf den Leukozyten, den weißen Blutkörperchen. Es war ein Schlachtengetümmel in meinem Inneren; Dschingis Khan hätte seine helle Freude gehabt. Nur ich nicht, denn von dem Lärm bekam ich Kopfschmerzen.

Dann wurde es noch lauter. Die AK-Truppe blies zum Rückzug, denn sie meinte, bei meinen Hustenanfällen käme schon Erde hoch und man dürfe kein Risiko eingehen. Der Gegner war auch zu übermächtig geworden und erhielt außerdem Unterstützung von außerhalb. Impfgegner, Querdenker und Gar-Nicht-Denker boten ihre Hilfe an, auch Reichsbürger sollen vereinzelt gesehen worden sein. Einen kleinen Erfolg konnte meine Seite dann aber doch verbuchen: Al trat in Erscheinung. Al hieß mit Nachnamen nicht etwa Bundy – wer kennt noch die amerikanische Sitcom ›eine schrecklich nette Familie‹ mit Al Bundy als chaotischem Schuhverkäufer? Al hieß auch nicht Pacino, der im Film ›der Pate‹ den Paten spielte. Nein, Al hieß eigentlich Xylometazolinhydrochlorid. Aber wer kann sich das schon merken. Weil er aber zur schrecklich netten Familie der ALUID-Pharma gehörte, wurde er kurz Al gerufen.

Der schaffte es, zumindest mein rechtes Nasenloch zu befreien, während das linke weiterhin fest in Hand der Besetzer blieb.

Am nächsten Morgen war ein gewaltiges Atemrasseln zu vernehmen. Machten sich die Brüder schon in meiner Lunge breit?

»Das ist nicht deine Lunge! Das ist das Säbelrasseln deiner berittenen Antikörper-Truppe. Die formieren sich neu.«

»Wer sagt das?«

»Ich sag’ das. Ich, dein Optimist.«

Geht das Schlachtengetümmel also wieder los. Ich muss gestehen, das wünsch ich meinem ärgsten Feind nicht. – Wenn ich aber recht darüber nachdenke, muss ich zugeben: Ich wünsch es doch meinem ärgsten Feind an den Hals oder besser: in den Hals. Es gibt dabei aber ein Problem: Ich habe keinen ärgsten Feind. Ich könnte vielleicht ein paar GV-versiffte Briefe an den Kreml schicken und an die letzten Ex-Präsidenten der USA und Brasiliens. Da träfe es auf jeden Fall die richtigen.

Und schon wieder meldete sich der alte Besserwisser: »Ich, als dein Optimist, sage dir: Es wird so schlimm nicht werden. Schau auf dein linkes Nasenloch!«

Tatsächlich. Nicht nur das rechte sondern auch das linke Nasenloch gehörte inzwischen zum schnodderbefreiten Gebiet. Okay, fasse ich mich also in Geduld und lasse die Leukozyten-Truppe ihren Job machen.

Weil aber Geduld etwas ist, das Männern im Allgemeinen und Ullis im Besonderen eher abgeht, dachte ich, es könne nicht schaden, meine schnelle Eingreiftruppe zu unterstützen und mit einem oder vier Rumgrogs vor dem Zubettgehen dafür zu sorgen, dass etliche GVs besoffen aus den Poren hingen und sie so eventuell zu einer Kapitulation zu überreden wären. Doch das ging leider in die Hose, eher sogar in den gesamten Pyjama. Ich schwitzte nächtens wie ein Stier, – Wieso schwitzen Stiere eigentlich? –, und gegen Morgen war mein Nachtgewand restlos nassgeschwitzt und natürlich arschkalt. Ich fror wie ein Schneider (!), was sich für meine Infektion eher als kontraproduktiv erwies. Außerdem hatte ich unbegreiflicherweise schon wieder Kopfschmerzen, obwohl das Schlachtengetümmel diesmal eher verhalten war.

Da half nur Al der vierte, auch bekannt als – Achtung! Kalauer-Alarm! – Al Ka-Seltzer, auch ASS genannt. Davon warf ich mir flugs ein paar ein und verbrachte den Rest des Tages schmerzfrei und ausgesprochen euphorisch.

Und das Ende vom Lied? Irgendwann in ferner Zukunft wird meine AK-Truppe die Grippeviren zum Teufel gejagt haben, und ich werde erwartungsfroh einer neuen Corona-Variante nach meiner erfolgreichen fünften Impfung entgegensehen.

 © Ulli Kammigan, im Januar 2023

 

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