Santiago
Donnerstagmorgen klappert uns ein Pickup zum Flughafen. Man kann es auch Taxi nennen. Die Koffer werden auf die offene Ladefläche geknallt und wir kuscheln uns in die schäbigen Sitze. Am Flughafen werden wir schon sehnlichst von einem Pärchen in Uniform erwartet. Sie freuen sich mächtig, endlich etwas zu tun zu bekommen. Es gibt keine Gepäck-Durchleuchtungsanlage. Also werden unsere Koffer manuell durchwühlt. Aber sie sind ganz lustig dabei und kommentieren etliche unserer Gepäckutensilien. Das Ganze artet dann zu einem fröhlichen Smalltalk aus, bei dem wir viel zu lachen haben. Gut gelaunt entern wir die Turbo-Prop-Maschine und los geht es auf den Vierzig-Minuten-Flug gen Santiago mit der Hauptstadt Praia, die mit 130.000 Einwohnern sogar eine richtige Stadt ist mit reichlich Verkehr und Lärm.
In der Flughafenhalle steht ein Mann mit unserem Namen auf einem Pappschild. Er geleitet uns mit einem Taxi, das auch wie ein Taxi aussieht, ins Hotel Perola. Von der Dachterrasse haben wir einen herrlichen Blick über die Stadt und den Hafen und können uns gleichzeitig im Pool erfrischen. Auf Santiago ist es deutlich wärmer als auf Boavista. Anschließend fahren wir im Bus zwei Stationen in die Altstadt Platȏ. Wir werden bestaunt, als wären wir Aliens. Sind wir auch. Touristen fahren nicht Bus und hellhäutige und alte schon gar nicht. Aber mir wird sofort ein Sitzplatz angeboten. Ausgesprochen nett, die Einheimischen hier!
Am Abend hat meine bessere Hälfte keine rechte Lust, in die Altstadt zum Essen (mit Musik) zu gehen. Also speisen wir im hoteleigenen Restaurant. Nach dem Massenbetrieb im Riu Touareg auf Boavista ist es hier sehr erholsam. Das Restaurant ist mit fünf Personen nicht gerade überfüllt. Wobei zwei davon die Bedienung darstellen, die dritte der Koch. Will sagen: Wir sind und bleiben die einzigen Gäste und haben natürlich den Fünfer-Tisch vor dem Panorama-Fenster gewählt. Der Fisch ist super lecker, nur die Gräten stören etwas. Und ich sorge mich. Vor meinem geistigen Auge taucht immer wieder eine Szene aus dem Film »Und täglich grüßt das Murmeltier« auf, in der Bill Murray einem alten Mann (!) das Leben rettet, indem er ihm so lange auf den Rücken herumhaut, bis dieser die Gräte wieder ausspuckt, die ihn beinahe hat ersticken lassen. Und wir sind ganz allein, kein Bill Murray weit und breit, ganz zu schweigen von einem Murmeltier, obwohl die beiden dunkelhäutigen Kellnerinnen mindestens so gut aussehen wie Andie McDowell.
Nach dem Frühstück holt uns Tutu mit Fahrer Pedro im klapprigen Kleinbus zur Inseltour ab. Tutu ist der beste Guide für die Insel Santiago. Er ist so gut, dass er sogar im Marco-Polo-Reiseführer erwähnt wird. Auch die Gruppe ist in der Größe überschaubar. Vier Leute drängeln sich im Bus. Tutu, Pedro und ein deutsches Paar mit Namen Iso und Ulli. Wir haben also einen Privat-Fahrer und unseren persönlichen Reiseführer. Und was wir dann erleben, macht Marco Polo alle Ehre. Tutu hat interessante Geschichten zu erzählen und lässt an allen Stellen halten, die eine tolle Aussicht bieten. Dann führt er uns durch den ältesten Ort der Kapverden: »Cidade Velha«. Hier nahm die Geschichte des Inselstaates ihren Anfang. Der Ort wurde im 15. Jahrhundert Drehkreuz des Sklavenhandels. Auf dem Dorfplatz, dem ehemaligen Sklavenmarkt, erinnert ein Pranger an diese Zeit. Tutu führt uns durch die älteste Gasse, durch die die Sklaven auf den Markt getrieben wurden, die »Rua de Banana«. Hier kann ich Einheimische beim Palavern und Frauen beim Waschen fotografieren. Tutu kennt sie alle. Dann fragt er uns, ob wir schon einmal das Haus einer einfachen Familie von innen gesehen haben. Haben wir natürlich nicht. Und schon sind wir drin, begrüßen seine Oma und er erzählt von seiner Familie. Die alte Dame zeigt uns die beiden 160 Jahre alten Betten, in den noch heute geschlafen wird. Überall darf ich fotografieren. Das hätte ich mich allein nicht getraut.
Dann geht es bis auf knapp tausend Meter Höhe. Vor uns liegt ein gezackter Bergkamm: von den Einheimischen »die Zähne des alten Mannes« genannt, wie uns Tutu erklärt. Wir durchqueren den Nationalpark. Hier leben Papageien, Affen und der kapverdische Eisvogel, der vom Bild her wenig mit dem europäischen gemein hat. Aber die haben sich alle in den Wolken verkrochen. Wir sind mitten in denselben und sehen daher nichts. Übrigens: Die Straßen sind im Gegensatz zu denen auf Boavista gut ausgebaut und nur innerhalb der Ortschaften holpern wir über Basaltpflaster.
Auf dem Markt in Assomada in der Inselmitte erklärt Tutu uns alle exotischen Früchte und Kräuter und lässt uns probieren. Auch hier ist er vor allem bei den Marktfrauen bekannt wie ein bunter Hund.
Am frühen Nachmittag erreichen wir unser Ziel in Nordwesten der Insel: Tarrafal. Kurz vor dem Ort wird die Straße von einer langgestreckten Mauer begleitet. Sie begrenzt ein ehemaliges Konzentrationslager, in dem das faschistische Salazar-Regime bis 1974 Widerständler und Kritiker foltern und ermorden ließ. Das endete erst, als die Kapverden in die Unabhängigkeit entlassen wurden und die Nelkenrevolution in Portugal die Diktatur beendete.
Dann erreichen wir die kleine Ortschaft Tarrafal.
Tutu hilft uns beim Einchecken und der Fahrer wartet draußen. Anschließend zeigt er uns die Restaurants im Ort, die er empfehlen kann. Dann führt er uns ins Restaurant Búzio. Tutu organisiert das Essen für uns, wir halten uns beim frischen Fisch vom morgendlichen Fang an seine Empfehlungen – und bereuen sie nicht. Das Essen ist übrigens bei der Inseltour inklusiv. Dann verabschiedet er sich und wir bleiben zwei Tage in Tarrafal im sehr einfachen Hotel Marea. Kaum sind wir in unserer Unterkunft, da kommt ein Videoanruf von Sarah aus Australien rein. Das ist schon wahnsinnig. Wir sitzen in einem Dorf auf den Kapverden und video-telefonieren mit meiner Tochter in Australien. Krass!
Am Abend geraten wir in die »feine Gesellschaft« von Cabo Verde. Im Baia Verde wollen wir »nur« ein Bier trinken, als die Honoratioren im feinen Zwirn mit Ehefrauen in schickem Outfit aufschlagen. Musik spielt und man steht erst einmal stundenlang herum und hält Smalltalk bevor man über das Buffet herfällt. Wir sitzen etwas abseits und beobachten das Treiben. Ein Mann fällt uns auf, weil er statt des feinen Zwirns ein buntes Hemd trägt. Das könnte der Tourismus-Minister sein. Nach dem zweiten Bier machen wir uns davon und laufen draußen Slalom durch die kreuz und quer abgestellten SUVs mit zum Teil Diplomatenkennzeichen und sich langweilenden Fahrern.
Am kommenden Morgen herrscht an der Hafenmole buntes Treiben. Von zwei einfachen Fischerbooten wird der Fang zum Kauf angeboten. Fast der gesamte Ort hat sich versammelt und man schleppt die Fische in Plastiktüten für den privaten Verzehr oder in großen Kübeln für den Restaurationsbetrieb oder Weiterverkauf davon.
Bei unserem späteren Rundgang durch den Ort begegnen wir haufenweise Schülern in ihren Schuluniformen. Es ist Schichtwechsel und sie strömen in die Kantinen. Am Nachmittag ist dann die zweite Schicht mit dem Unterrichten dran. Außer den Schülern treffen wir doch tatsächlich auf das eine oder andere Touristenpaar, aber insgesamt kaum mehr als sechs, die wir sofort an der hellen Hautfarbe und dem wenig ausladenden Hinterteil erkennen. Erst am Nachmittag am Strand scheinen sich sämtliche Touristen verabredet zu haben. Mindestens zehn bis fünfzehn Blasshäutige bevölkern den Sandstrand und Ulli stürzt sich in die Fluten. Es ist auszuhalten; das Wasser hat etwa fünfundzwanzig Grad und der Wind ist zwar kräftig, aber warm. Nebenan wäscht ein junger Mann sein T-Shirt, indem er es ständig in die Wellen klatschen lässt. Auch eine Familie nimmt das samstägliche Reinigungsbad in einem Salzwasserbecken in den Klippen. Offenbar haben sie in ihrer Hütte kein fließendes Wasser, von Seife ganz zu schweigen.
Im Ort ist fast jedes fünfte Haus als Bar eingerichtet, in der auch einfache Gerichte angeboten werden. Man hat im Wohnzimmer einen Tresen stehen und einige Flaschen mit alkoholischen Getränken in einem Regal dahinter. Auf diese Weise hoffen die Menschen hier ein bisschen vom beginnenden Tourismus zu profitieren. Aber kaum ein Tourist verirrt sich in die häufig von grellem Neonlicht erhellten Stuben. Nur ein paar Einheimische, vermutlich Familienmitglieder, hängen dort ab. Es ist ein Teufelskreis. Die Menschen sind zu arm, um ein für Touristen attraktives Ambiente herzustellen, außerdem haben sie keine Ahnung, was für Touristen attraktiv ist, niemand hilft ihnen dabei oder sagt es ihnen. Die wenigen Bars und Restaurants, in denen sich die Touristen treffen, weil sie auch einen hygienischen Mindeststandard erfüllen, werden entweder von Ausländern geführt oder von bereits wohlhabenden Einheimischen. Wir sehen viele Frauen am Straßenrand sitzen, die den Fisch anbieten, der am Morgen gefangen wurde. Nur liegt der bereits seit Stunden in einem Bottich in der Sonne mit verschwindend wenig oder gar keinem Wasser.
Pünktlich (!) um zwölf am Sonntag holt uns Pedro mit dem Klapperbus vor dem Hotel ab und fährt uns in knapp zwei Stunden zurück nach Praia. Im Hotel angekommen stürzen wir uns erst einmal wieder in den Pool mit Rundumblick auf der Dachterrasse in der siebten Etage. Abendessen in der Altstadt Platô, für zusammen 80 Centavos (80 cent) mit dem Linienbus zu erreichen. In dem vom Reiseführer empfohlenen Restaurant »Avis« spielt eine Band. Wir sitzen in der Fußgängerzone, lauschen der Musik und Iso macht sich über ein halbes Huhn her, welches sich aber innen noch als etwas roh entpuppt. Wirt und Bedienung entschuldigen sich tausendmal und sie setzen es dann auch nicht auf die Rechnung, obwohl meine Frau allein von den Beilagen satt wurde.
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