Lissabon    

 

Hamburg im September: Es ist stockfinstere Nacht. Um halb vier Uhr kräht der Hahn. Nicht der auf dem Mist, sondern der im Smartphone. Gockel gehen eben auch mit der Zeit. Um sechs soll der Flieger nach Lissabon starten, so steht es auf der Anzeige am Flughafen. Aber auch die Flieger nach Mallorca, Antalya, Frankfurt und Amsterdam starten zur gleichen Zeit. Wie wollen die das machen? Vielleicht starten wir ja Huckepack – so Space-Shuttle-mäßig – alle aufeinander und ganz unten der Flieger vom Chaoten-Verein »Easy-Jet«. Dem ist dann aber nicht so. Wir heben eine halbe Stunde später ab und landen pünktlich in Lisboa.

 

Dann heißt es Schlange Stehen. Nicht nur am Kofferband – das ist ja immer so, sondern am Automaten für die U-Bahn-Tickets. Zwei fast vollständige Flugzeug-Ladungen wollen ein Ticket und kaum einer kann Portugiesisch. Man kann den Automaten aber Englisch, Französisch und Deutsch einstellen. Aber kaum einer weiß, dass Lissaboner Automaten Sprachgenies sind. Nach einer knappen halben Stunde stehen dann auch wir vor dem Sprachgenie und drücken die verschiedensten bunten Tasten. Damit allerdings ist Letzteres überfordert. Doch bevor es uns in drei Sprachen beschimpft, taucht vor uns eine braungebrannte Hand auf, fragt nach unserem Begehr und – Schwupp-die-Wupp – haben wir eine mit je 10 Euro aufgeladenen Chip-Karte in der Hand. Das würde für vier Tage reichen, meint der Mund, der zu der Hand gehört, die wiederum einem freundlichen Bediensteten der Lissaboner Verkehrsgesellschaft zuzuordnen ist.

 

Ab in die U-Bahn, die dort Metro heißt, einmal behinder-tengerechtes Umsteigen in Alameda und mit der Vermelha bis nach Martim Moniz. Diese Station ist aber nicht behindertengerecht. Und als Mensch jenseits der 65 mit einem schweren Koffer in der Hand und Rucksack auf dem Rücken hat man auch als Nicht-Golf-Spieler ein Handycap. Mein nicht behindertes Weib macht schlapp.

»Du glaubst doch nicht, dass ich den schweren Koffer alle diese Stufen hoch schleppe!«, macht sie mich an und tritt in den Streik. Als Streikbrecher erweist sich dann die nächste Metro-Station Rossio. Dort gibt es, gemäß den überall aushängenden Linienplänen, einen Aufzug, mit dem wir dann endlich wieder das Licht der Welt erblicken.

Ein freundlicher Lisboeta erklärt uns den kurzen Weg zum Hotel, natürlich auf portugiesisch. Und wir verstehen ihn sogar, obwohl wir kein Wort dieser Sprache  beherrschen außer »obrigado« oder »obrigada«, letzteres, wenn man 'ne Frau ist, und – ganz wichtig, »cerveja«.

 

Das Hotel ist dann tatsächlich nur etwa hundert Meter entfernt und um neun Uhr morgens unser Zimmer noch nicht frei. Also: Koffer abgeben und ab zur Sight-Seeing-Tour. Zuerst einmal einen Kaffee mit viel Leite und ein leckeres Stück Kuchen in einem Straßencafé. Dann Bummel durch die Fußgängerzone hinunter zum Tejo und dem großen Platz, dem Terreiro do Pace, die Statue von Dom José dem Ersten fotografiert und die vielen hübschen Portugiesinnen bestaunt. Dann zurück zum Hotel, vorbei am Elevador de Santa Justa, einem Aufzug ganz aus Eisen und erbaut von Monsieur Eiffel. Das ist der mit dem Eiffelturm in Paris.

In der kleinen Straße davor werden wir dann später zu Abend essen.

 

Mittags einchecken und nach einer kurzen Siesta wieder Schlange Stehen. Diesmal direkt vor unserem Hotel an der Paragem der Historischen Straßenbahn. Die zuckelt dann auch los, hoch in die »Alfama«, durch enge und engste Gassen, bergauf, bergab und alle paar hundert Meter wird mit lautem Klingeln ein parkendes Auto von den Schienen gescheucht. In Lissabon parkt man nämlich mit Vorliebe auf den Schienen der Straßenbahn. Sonst ist ja auch kein Platz in den engen Straßen. Aus der Alfama geht es dann wieder hinunter in die Baixa am Tejo und dann auf der anderen Seite hoch in die Altstadt, in das Bairro Alto. Dort verlassen wir die Ruckelbahn und schlendern durch die Gassen. Hier tobt abends das Leben. Hier trifft sich das Jungvolk zum Chillen. Hier gibt es auch, dem Reiseführer nach, zwei Fado-Kneipen. Die wollen wir schon mal ausfindig machen, um sie dann am nächsten Abend wiederzufinden.

 

Hinunter und zurück in die Baixa klettern wir in den Elevator da Gloria, die Straßenbahn am Drahtseil und rattern abwärts zur Estação Central do Rossio, dem Stadt- und Fernbahnhof. Dort entdecken wir dann etwas, das uns fußlahmen Alten sehr entgegenkommt. Im Bahnhof gibt es Rolltreppen, die etwa Zweidrittel der Höhenmeter von der Baixa zur Bairro Alto überwinden. Oben kann man den Bahnhof wieder verlassen und eine Pause in der Lisboa Bar einlegen mit einem Bier oder einem Ginja, das ist ein einheimischer Sauerkirschlikör mit eingelegten ganzen Kirschen, deren Kerne man hemmungslos auf den Boden spuckt.

 

Auf dem Rückweg, kurz vorm Hotel dann das große Spucken. Vor einem winzig kleinen Raum mit offener Tür stehen Trauben von überwiegend jungen Menschen. Die halten alle einen kleinen Plastikbecker mit rotem Inhalt in der Hand und spucken so vor sich hin. Vor der Schlange steht hinter einem kleinen Tresen ein Mann, dem man, wenn man dran ist, einen, zwei oder fünf Finger hinhält. Dann bekommt man einen, zwei oder fünf kleine Plastikbecher voll mit Ginja jeweils zu siebzig Cent. Danach steht man auf dem großen Platz vor dem Laden, hält seinen Becher in der Hand, palavert und wird langsam besoffen.

Sonnabend ist Belém-Tag. Belém ist ein Stadtteil Lissabons direkt an der Tejo-Mündung gelegen und ein absolutes Must-do. Man erreicht ihn mit der Tram nach einer halben Stunde Fahrzeit. Hier steht das Padrão dos Descombrimentos, das weiße Betondenkmal, das an das Goldene Zeitalter der portugiesischen Seefahrer erinnern soll und 1960 zum 500. Geburtstag von Heinrich dem Seefahrer errichtet wurde; nicht von Heinrich, sondern von dem schlimmen Finger Salazar, Kumpel des spanischen Diktators Generalísimo Franco. Von der Dachterrasse in 50 Metern Höhe, die man als fußkranker Tourist bequem mit dem Fahrstuhl erreicht, schaut man zur einen Seite auf die große Brücke, die in gewaltiger Höhe den Tejo überspannt. Oben für Autos, darunter fährt die Eisenbahn. Zur anderen Seite erblickt man den Torre de Belém. Anfang des sechzehnten Jahrhunderts erbaut wies sein Leuchtfeuer einlaufenden Schiffen den Weg.

 

Das Hieronymus-Kloster und Vasco da Gama müssen allerdings auf unsere Anwesenheit verzichten. Die Schlangen vor dem Eingang schrecken uns ab. Vasco dürfte es nicht sonderlich gestört haben, er liegt da schließlich schon über 500 Jahre 'rum und mit Mönchen und Heiligen haben wir es nicht so.

Der Weg zurück mit kurzem Zwischenstopp am Mercado de Ribeira, der größten und schönsten Markthalle, führt uns erneut in den Bairro Alto, wo man uns in einen »tiefen Keller« lockt. Es wird gespielt und gesungen: Herz, Schmerz und dies und das. Mit anderen Worten: Fado, die portugiesische Musik von den Schmerzen der Liebe und des Lebens. Außer uns beiden ist noch eine englisch sprechende Großfamilie afrikanischen Ursprungs anwesend. Vater, Mutter und drei Töchter, von denen die jüngste wie Halle Berry aussieht. Ihr wisst schon, das Bond-Girl.

Weitere Girls, weniger Bond-mäßig aber dafür folkloristisch verkleidet, bekomme ich dann auf dem großen Platz vor unserem Hotel vor die Kamera-Linse. Hier treten gerade Folklore-Gruppen singend und tanzend auf.

Letzter Tag in Lissabon. Das Castello de São Jorge, das Kastell von Georgie-Boy, dem Drachentöter ist angesagt. Es thront auf einem Berg in Sichtweite unseres Hotels. Da die Linie 12, die Historische Straßenbahn mal wieder von Touristen-Schlangen umzingelt ist, machen wir uns zu Fuß auf den Weg. Nach hunderten von Treppenstufen und fünfzig Verschnaufpausen stehen wir auf den Steinen, über die schon römische Legionärsfüße gelatscht sind. Auch die Westgoten im fünften und die Mauren im achten Jahrhundert prügelten hier auf ihre jeweiligen Feinde ein. Im dreizehnten Jahrhundert verjagte dann König Alfonso Henrique aus lauter christlicher Nächstenliebe die Mauren oder murkste sie ab, wenn sie sich nicht bekehren lassen wollten. Auf die Moschee setzte er dann ein Kreuz und nannte sie ­– nach einigen Umbauten –  Kirche. Also Römer, Westgoten und Mauren wussten schon wo es schön war. Von hier oben hat man einen herrlichen Blick über Stadt, Land, Fluss.

Ja, und dann ist noch die Kathedrale Sé dran, von den Lisboetas liebevoll »ihre Sé« genannt. Vom Castello oben stolpert man, hier Ulli, wieder über hundert Stufen und steil abfallende Straßen mitten ins älteste und meistbesuchte Gotteshaus der Stadt. Hier wird der Unterschied zwischen christlichen Touristen aus England, Amerika und Deutschland und Heiden aus Hamburg deutlich. Während fast alle Christen voller Demut die Hinweisschilder ignorieren, die um Ruhe und Vermeidung von Blitzlicht bitten, und sich stattdessen einen absabbeln, wenn sie nicht gerade mit ihren Smartphones das Kirchenschiff erleuchten, – während die Touri-Meute also das Gotteshaus innen erstrahlen und ertönen lässt, schleicht Oberindianer Ulli schweigend durch die Heiligen Hallen. Auch er macht Fotos, hat aber den Blitz seiner Kamera ausgeschaltet. Sowas geht nämlich! Sogar bei von Tebartz van Elst gesegneten Smartphones!

Der Abend endet dann mit einem Essen in einer Cervejaria im Bairro Alto, einem Absacker in der Lisboa Bar und einem letzten Plastikbecker neben der Plaça Dom Pedro.


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