Auszug aus Kapitel 3 »Die Pantherbande«:

 

Im Frühjahr sammelten wir das Heu wilder Gräser und bauten daraus Hütten. Dazu wurden kleine Birken abgeschnitten, in die Erde gesteckt quer verflochten und die Zwischenräume mit dem trockenen Heu gefüllt. Die beste Hütte war die, die innen ganz dunkel war. Man kroch durch ein schmales Loch am Boden hinein und hatte gerade so viel Platz darin, um der Länge nach zu liegen, allenfalls zu hocken.

 

Dann sammelten wir Zigarettenkippen. Da es noch keine Filterzigaretten gab, sammelten wir die Tabakreste von der Straße auf, rollten sie in Papier zu neuen Zigaretten, verkrochen uns in die Heuhütten und qualmten, dass der Rauch außen durch die Heuwände hindurch waberte. Das Schicksal ließ uns diese misslungenen Brandstiftungen wohl nur deshalb überleben, damit uns von dem mit Nikotin hochkonzentrierten Zeug so richtig schlecht werden durfte. Und das wurde es. Wir kotzten uns die Seele aus dem Leib.

 

In heißen Sommern brannte es im Moor regelmäßig. Ursache war oft eine unachtsam fortgeworfene Zigarette, aber auch Glasscherben, die wie ein Brennglas wirkten, denn etliche Leute entsorgten ihren Hausmüll illegal im Moor. Neben dem Grundstück vom Nachbarn Apel war das der Stadt gehörende anschließende Grundstück sogar zu einer richtigen Müllhalde angewachsen.

Manchmal war es aber auch fahrlässige Brandstiftung, wenn zum Beispiel Kinder (!) achtlos mit Feuer umgingen. Dann ging mit ohrenbetäubendem Geheul die Sirene am Garstedter Weg, kurz vor dem Krähenweg, los. Sie war noch aus dem Krieg und es gab damals in regelmäßigen Abständen Probealarme. Das hörte sich unheimlich an, denn alle Sirenen in Hamburg gingen dann gleichzeitig los und es war ein Heulen, Singen und Vibrieren in der Luft.

 

Einmal brannte die Fläche links neben unserem hinteren Grundstück, dort, wo wir im Winter bei Überschwemmungen Schlittschuh liefen. Wir hatten Panik, denn wir konnten eine gewisse Beteiligung an der Ursache des Brandes nicht ausschließen. Also bildete die komplett angetretene Pantherbande, einschließlich Petra, eine Eimerkette vom Regenfass an Petras Haus zur brennenden Moorfläche. Das war natürlich völlig sinnlos und auch die falsche Methode, das bisschen Wasser hatte die Wirkung eines Tropfens auf dem heißen Stein.

Da tauchte auf einmal mitten im Qualm von der anderen Seite eine Kette von Feuerwehrleuten mit Gasmasken auf, die das Feuer mit großen Schaufeln ausschlugen. Sie hatten sich vom Schippelsweg aus zu uns durchgearbeitet.

Wir erschraken zu Tode und stoben wie eine Herde aufgescheuchter Kaninchen auseinander und versteckten uns zu Hause.

 

Im Herbst klauten wir Runkelrüben. Hinter dem Chaukenweg hatte einer der neuen Ohemoorbauern ein Feld mit Runkelrüben angelegt. Diese Rüben sind den Steckrüben ähnlich, dienen aber eigentlich als Viehfutter. Die zogen wir aus dem Boden, wischten sie an der Lederhose ab und zerteilten sie dann mit einem Taschenmesser. Eigentlich mochte ich ja kein Gemüse, aber ich machte eine Ausnahme, wenn es geklaut und roh war. Manchmal klauten wir auch Karotten aus den Gärten. Auch die wurden oberflächlich an der Hose abgewischt und dann gegessen. Heutige Mütter würden wahrscheinlich auf der Stelle tot umfallen, wenn sie ihre Kinder solch schmutziges Gemüse würden verzehren sehen. Und wenn man sie dann reanimiert hätte, würden sie ihren Kindern anschließend den Schock ihres jungen Lebens verpassen und sie ins Krankenhaus einliefern, um ihnen den Magen auspumpen zu lassen. Aber heute gibt es ja auch genügend Psychotherapeuten, die das dann wieder hinkriegen würden; die standen natürlich damals noch nicht in solch großer Anzahl zur Verfügung. Also ließ man den Dreck im Magen, der dann später auf natürlichem Wege wieder ans Tageslicht kam.

Uns hat der Schmutz nicht geschadet, im Gegenteil, wir erfreuten uns blühender Gesundheit nach dem damaligen Motto: Dreck reinigt den Magen!

 

Regelmäßig im Spätherbst und Winter stand ein Teil des Moores unter Wasser. Da gab es das im hinteren Bereich noch wilde, über einen Hektar große Grundstück unseres Nachbarn Roche zur Linken. Der Boden bestand überwiegend noch aus Torf, Heide und Binsen und im Winter war eine große Fläche überschwemmt – womit Roches Feuchtgebiete eine völlig neue Bedeutung gewinnen. Das Wasser stand zwischen zehn und vierzig Zentimeter über dem Boden, und überall schauten die trockenen Binsenbüschel wie kleine Inseln aus dem Nass hervor.

Mein Bruder Thomas baute uns ein Floß. Dazu verband er mehrere alte metallene Benzinkanister miteinander, die er von unserem hinteren Nachbarn, Petras Vater, bekommen hatte, und darauf und darunter befestigte er mit Stricken zwei alte Holztüren.

Mit diesem Floß schipperten wir zwischen den Binsenbüscheln hindurch und holten uns nasse Füße. Denn das Floß konnte gerade einmal zwei Kinder tragen, und das Wasser schwappte dabei ständig über die Tür. Manchmal fiel man auch herunter. Dann gab es Ärger zu Hause, wenn man triefnass vor der Haustür stand. Mit Spielen war es dann für die nächsten Tage vorbei. Wir bekamen Hausarrest.

 

Im Winter war diese Wasserfläche oft zugefroren. Dann liefen wir Schlittschuhe. Wir hatten jeder ein paar gebrauchte Schlittschuhe bekommen, die man sowohl in der Länge als auch in der Breite verstellen konnte. Je zwei Winkel wurden mit dem Schlüssel durch Drehen einer Spiralachse vorn und hinten gegen beide Seiten der Sohle und Hacke gepresst. Wenn man Glück hatte, hielt das. Wenn man Pech hatte, löste sich die Hacke oder Sohle vom Schuh und der Schuster hinten in unserer Straße musste es wieder richten. Nur Petra, die Nachbarstochter, besaß richtige Schlittschuhstiefel, bei denen die Kufen fest unter die Stiefel geschraubt waren. Ihre Eltern waren ja auch reich.

Mit abgeschnittenen Birkenstöckchen als Schläger und einer zusammengedrückten Kondensmilchdose der Marke Glücksklee als Puck spielten wir Hockey. 

Beliebt waren auch die Springwettbewerbe. Dazu nahm man einen gewaltigen Anlauf, um dann mit hohem Tempo über eine oder mehrere Binseninseln zu springen. Hier war natürlich Thomas der absolute Meister. Ich landete eher auf meinem Allerwertesten statt auf den Schlittschuhen.

Nach der Regulierung der Tarpenbek und Kollau, zwei kleinen Flüssen durch Niendorf, und besonders, als dann 1963 der Krohnstiegtunnel und die Startbahn II des Flughafens gebaut wurden, sank der Grundwasserspiegel im ganzen Ohemoor so drastisch, dass es nie mehr Überschwemmungen gab.

 

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