Boavista – Santiago – São Vicente – Sal
Boavista
Hannover, vier Uhr in der Frühe. Da kräht noch kein Hahn. Trotzdem treibt es uns aus den Betten, denn um sechs Uhr geht der Flieger gen Cabo Verde. Am Abend vorher hatten wir ein Treffen mit Neffe Andreas und Frau Natalie, die in Hannover heimisch sind. Sie sind in ihrem Arme-Leute-Auto vorgefahren, einem Mercedes SLE oder so, – ich kenne mich mit diesen Underdog-Fahrzeugen nicht so aus –, in dem tatsächlich gerade einmal zwei Personen Platz finden. Aber unser Mitleid hielt sich in Grenzen. Wir verbrachten zusammen mit unseren Reisebegleitern Mecki und Brigitte und meinen Anverwandten dann einen wirklich netten Abend, der leider zu früh enden musste. Denn die Nacht ist nur kurz. Das Hotel hat dann sogar mitten in der Nacht einen Shuttle-Bus zur Verfügung gestellt, der uns die endlosen zweihundert Meter zum Terminal fährt. Beim Check-In herrscht auch kurz vor fünf noch gähnende Leere. Wir sind also in Null-Komma-Nichts durch. Unsere Bordkarten hatten wir schon zu Hause ausgedruckt. War ein bisschen teuer, wenn man den von der Fluggesellschaft vorgesehenen Platz aus irgendwelchen Gründen nicht haben wollte und im Sitzplatzschema einen anderen freien Platz anklickte. Einmal Klicken kostet fünfzehn Euros. Das setzt sich dann auch im Flieger fort: Einmal Wasser für den älteren Herrn, der medizinisch verordnet auf einem sechseinhalb-Stunden-Flug einen gewissen Bedarf an Flüssigkeit hat, gibt es nur gegen Bares. Aber die Klobenutzung ist kostenlos. Noch! Man denkt darüber nach, die Toilettenbenutzung nur den Gästen des flugzeug-eigenen Restaurationsbetriebes zu erlauben. Nur wer den teuer erkauften Plastikteller leerputzt darf kostenfrei entsorgen. In Autobahnraststätten ist das bereits Gang und Gäbe. Es gibt nicht einmal einen sauren Apfel, in den man hätte beißen können, da man ja einen Billigflieger gewählt hat. Nachdem wir aufgrund von schlechten Erfahrungen Fluggesellschaften wie Ryan Air und Easy Jet tunlichst meiden, reiht sich nun auch TUI Fly ein. Es gibt weder Fernsehen noch Musik, nur die quäkende Stimme des Piloten alle zwei Stunden, die kein Mensch verstehen kann.
Aber betrachten wir es positiv: Wir sind runtergekommen. Der Pilot musste allerdings mächtig in die Eisen gehen, denn die Landebahn ist recht kurz. Der Flughafen auf Boavista darf nun eine einsame Maschine aus Hannover begrüßen. Ansonsten herrscht gähnende Leere. Das muss sogar den Piloten erschreckt haben, denn kaum ist etwa die Hälfte der Fluggäste draußen und die schon ungeduldig dort ausharrenden Menschen drinnen, hebt er schon wieder ab gen Sal. Das ist eine Insel etwas weiter nördlich.
Dann heißt es Schlange stehen. Hin und wieder werden ein paar Leute aussortiert und zu einem Schalter weiter links geleitet. Sie haben nicht mitbekommen, dass man zur Einreise auf den Kapverdischen Inseln ein Visum braucht. Das kann man dort gegen eine entsprechende Gebühr erwerben. Auch die Kapverdianer lernen offensichtlich von TUI Fly.
Ein großer TUI-Bus bringt uns dann über brüchiges Basaltpflaster holpernd zu unserer Destination. Die Straße ist einspurig, aber auf beiden Seiten ist eine Sand- und Schotterpiste zum Ausweichen. Die Landschaft ist sehr karg, einzelne Dornbüsche und Trockenpflanzen bilden hier und dort grünbraune Tupfer. Dazwischen sanden vereinzelt Ziegen, denn grasen kann man das nicht nennen, was sie dort treiben. Es ist kein Gras zum Grasen da, nur Sand, Steine und Geröll. Allerdings in Flughafennähe außerhalb der sieben Hütten, die den Ort Rabil darstellen sollen, ist die Gegend bunter. In Büschen und Kakteen hängen überall Plastikteile und -Tüten. Die Kapverdischen Inseln sind zu arm, um sich Umweltschutz leisten zu können.
Wir nähern uns unserem Fünf-Sterne-Hotel. Das erkennt man daran, dass die Straße in Asphalt übergeht und zweispurig wird. Wir passieren sogar richtige Kreisel, von denen neben unserer Straße jeweils zwei bis drei weitere abgehen. Diese enden jedoch nach zehn Metern in der Wüste. Aber Hauptsache man hat Kreisel, an denen man sogar Verkehrsschilder aufstellen kann.
Dann haben wir von einer Anhöhe den Blick auf die Hotelanlage RIU Touareg, einsam in der Wüste aber am herrlichen Sandstrand gelegen. Die gesamte Anlage gleicht eher einer Kleinstadt oder einem großen Dorf. Sie schmiegt sich allerdings, maximal dreigeschossig und in hellem Ocker gehalten, gut in die Landschaft. Man hat sich wirklich Mühe gegeben. Mit seinen Türmchen und Verzierungen erinnert die Anlage tatsächlich an einen nordwestafrikanischen Wüstenort. Timbuktu lässt grüßen. Hier gibt es das, was wir eigentlich nicht mögen: All inclusive. Das ergibt allerdings auch Sinn, denn im Umkreis von mindestens zwanzig Kilometern gibt es nichts ... nada ... keine Menschenseele. Außer ein paar Ziegen, und die sind in der Evolution noch nicht so weit, selbstständig ein Restaurant aufmachen zu können und ihre Produkte, wie Milch, Ziegenkäse etc. dort an die Touristen zu verhökern. Also müssen wir uns wieder an den dicken Engländern und Deutschen erfreuen, die frühmorgens die ersten Biere in sich hineinschütten.
Drei Tage lang herrscht heftiger Wind, der die Temperaturen nicht über zweiundzwanzig Grad ansteigen lässt und abends dazu führt, dass man sich eine Strickjacke anziehen muss. Gewaltige Brecher haben ein absolutes Badeverbot zur Folge. Also erkunden wir die Anlage und treiben uns an, aber nicht in diversen Pools herum. Die Wassertemperatur liegt zwar gerade noch im für Ulli erträglichen Bereich von deutlich über zwanzig Grad, aber sowie man das Wasser verlassen hat, sorgt der Wind auf der Haut für eine gefühlte Temperatur von mindestens minus drei Grad. Da also Frostbeulen nicht sehr kleidsam sind, verbringe ich die meiste Zeit im Schatten auf Liegen. In der Sonne ist es zu gefährlich. Sie hat hier eine so starke Kraft, dass man binnen kurzem verbrennt. Die Kapverden liegen schließlich kurz über dem Äquator.
Am vierten Tag ist die Hauptstadt-Tour angesagt. Kleinbusse schaukeln uns zurück zum Flughafen bei Rabil. Im Ort gibt es einen Imbiss mit einem typisch kapverdischen Gericht. Großvater, Sohn und Enkel machen einheimische Musik. Opa singt und spielt Gitarre, Sohnemann trommelt und der etwa fünfjährige Enkel fährt so waschbrett-mäßig mit einem Messer über die geriffelte Fanta-Flasche. Die Musik törnt mein Weib und mich dergestalt an, dass wir glatt ein paar Salsa-Schritte auf die Terrasse legen. Die Mitreisenden klatschen.
Weiter geht es gen Sal Rei. Die Straße wird ab Flughafen immer besser und die Plastikflaschen in der Landschaft zahlreicher. Die Hauptstadt der Insel ist mit sechstausend Einwohnern nicht gerade überbevölkert, obwohl neuerdings zusätzlich etwa zweitausend Senegalesen vom afrikanischen Festland sich mehr oder weniger illegal dort aufhalten. Die Menschen hier sind extrem arm und die Arbeitslosenquote ist hoch. Also versucht fast jeder auf der Straße herumhängende junge Mann, bei den Touristen etwas Geld gegen irgendwelchen einheimischen Schnickschnack locker zu machen. Auch Frauen, bunt gekleidet, – und oft ausgesprochen hübsch (sagt Ulli) – mit Waren in großen Körben auf dem Kopf versuchen dieselben an den Touri-Mann oder -Frau zu bringen. Die Waren, nicht den Kopf! Das ist manchmal etwas nervig, aber da man um die Armut weiß und wir aus Europa für diese Menschen so etwas sind, wie es bei uns in den fünfziger und beginnenden sechziger Jahren der reiche Onkel aus Amerika war, sollte man Verständnis für dieses Verhalten aufbringen.
Wir besichtigen dann die mikroskopisch kleine Markthalle, den Hafen und den ebenso winzigen Fischmarkt. Am öffentlichen Waschplatz stehen einige Frauen und rubbeln ihre Wäsche in einem der zahlreichen Waschbecken. Viele Häuser haben kein fließend Wasser und oft auch keinen Strom.
Gegen frühen Nachmittag holpert es dann zurück zum Fünf-Sterne-Luxushotel ganz im Süden.
Ein paar Tage später ist die Tour durch den einsamen Süden angesagt. Die entwickelt sich zu einer Massenveranstaltung: Sechs Geländewagen, sogenannte Cruiser, mit jeweils zehn Personen und Fahrer restlos überfüllt – zwei Personen müssen sich neben dem Fahrer den Beifahrersitz teilen. Mit anderen Worten: Die Veranstaltung war überbucht! Diese Fahrzeuge brettern mit uns über die Sand- und Schotterpisten und schicken die Leute in die Wüste. Soll heißen: Wir besichtigen die große Sandwüste »Deserto de Viana« im Inselinneren, die der ständig wehende Nordostpassat im Laufe von Millionen Jahren von der Sahara übers Meer nach Boavista geweht hat. Sie ist viele Quadratkilometer groß und die Menschenmassen verteilen sich im Gelände. Es gelingt mir tatsächlich, ein paar Aufnahmen der gewaltigen Sanddünen zu machen, ohne dass ein Mensch ins Bild latscht.
Zurück in den fahrbaren Sardinenbüchsen geht es gen Süden in das älteste Dorf Povoçao Velha, »in the middle of nowhere« gelegen. Hier machen Einheimische Musik und es gibt ein winziges Restaurant. Weiter geht es an den schönsten und einsamsten Strand, dem »Praia Santa Monica«, ganz im Süden gelegen. Als wir dort aufschlagen ist es mit der Einsamkeit natürlich vorbei. Doch wenn man sich die sechzig Touristen fortdenkt, ist es schon beeindruckend. Weißer Sand vom Feinsten und türkisblaues Meer so weit das Auge reicht. Doch mit der Einsamkeit wird es bald vorbei sein, denn hinter uns hämmern bereits Bagger. Das Betonskelett der zukünftigen Hotelanlage der Melia-Kette steht bereits.
Am kommenden Morgen verabschieden wir unsere Freunde Brigitte und Mecki. Für sie geht es zurück nach Hause. Wir bleiben noch zwei Tage. Dann wollen wir nach Santiago und nach Praia, der Hauptstadt der Kapverden, fliegen.
Am vorletzten Tag wird noch einmal richtig aufgedreht. Es ist Karneval. Eine Samba-Trommelgruppe zieht durch die Anlage und Tänzer und Tänzerinnen zeigen Lebensfreude pur.
Fazit unseres Aufenthaltes auf Boavista: Wenn man Sonne, Strand und Entspannung sucht ist die Hotelanlage Riu Touareg das Richtige. Sie ist sehr luxuriös, das Personal ausgesprochen freundlich und der Service hervorragend. Auch die Gruppe der etwa zwölf Animateure ist spitze. Ihre abendlichen Vorführungen sind sensationell, sehr temporeich mit einer großartigen Choreografie. Aber wenn man etwas sehen und erleben und die Kapverden kennenlernen will, dann, so meinen wir, ist Boavista nicht der Hit. Die Ausflüge sind nicht ihr Geld wert und im Hotel ist man eher in einem Ghetto. Gestört hat uns auch die Masse der Gäste, sowohl bei den Ausflügen als auch im Hotel. Das Hotel-Dorf kann mit über 1.100 Zimmern aufwarten.
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